- Friedensnobelpreis 1976: Mairéad Corrigan — Betty Williams
- Friedensnobelpreis 1976: Mairéad Corrigan — Betty WilliamsDie beiden Frauen aus Belfast erhielten den Nobelpreis für ihren Versuch, die verfeindeten Religionsgemeinschaften in Nordirland miteinander zu versöhnen.BiografienMairéad Corrigan-Maguire, * Belfast (Nordirland) 27. 1. 1944; Sekretärin, Sozialarbeiterin und Friedenskämpferin, ab 1960 Tätigkeit in verschiedenen Büroberufen, 1972 Teilnahme an einer Konferenz des Ökumenischen Rats der Kirchen, 1976 Führerin der »Friedensmärsche« und Mitbegründerin der Community of Peace People.Betty (Elizabeth) Williams Perkins, * Belfast 22. 5. 1943, Büroangestellte und Friedensaktivistin, 1972 Beitritt zur pazifistischen Vereinigung »Witness for Peace«, 1976 Organisatorin der »Friedensmärsche« und Mitbegründerin der Community of Peace People, 1982 Auswanderung in die USA.Würdigung der preisgekrönten LeistungNeben der Balkanhalbinsel und dem Baskenland gehört Irland zu den schon fast klassischen Krisenherden Europas, in denen religiöse, ethnische, politische und soziale Konflikte immer wieder aufflammen. Nachdem die britische Herrschaft mit dem Angloirischen Vertrag von 1921 zu Ende gegangen war, führte gerade die in diesem Vertrag vereinbarte Abtrennung von sechs Grafschaften im Norden der Insel zu einem neuen, dem Nordirlandkonflikt, der bis heute andauert.In Nordirland, das zu Großbritannien gehört, stehen sich eine protestantische Mehrheit und eine katholische Minderheit gegenüber. Während die Protestanten mehrheitlich als Loyalisten die Zusammenarbeit mit Großbritannien befürworten, streben die meisten Katholiken die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland an, denn eine angemessene Beteilung an der politischen Macht wurde ihnen bisher verwehrt. Der Konflikt wird durch soziale Probleme, etwa die hohe Arbeitslosigkeit unter den Katholiken, zusätzlich verschärft.Beide Bevölkerungsgruppen besitzen militante »Arme«, die versuchen, ihre politischen Ziele mit Gewalt zu erreichen: die Loyalisten etwa die »Ulster Defence Association« (UDA), die irischen Nationalisten die »Irisch-Republikanische Armee« (IRA), die Mitte der 1950er-Jahre eine Terrorkampagne begann und so gewaltsame Gegenreaktionen der Protestanten hervorrief. Gegen Ende der 1960er-Jahre nahmen Terror und Gegenterror zu. Um die Ordnung im Land wieder herzustellen, schickte die Regierung in London 1969 Truppen nach Nordirland, die Terrorkampagne setzte sich jedoch ungebremst fort, und oft wurden jetzt britische Soldaten Zielscheibe der Anschläge.Leben in einem zerrissenen LandDie zwei Frauen, denen im Oktober 1977 nachträglich der Friedensnobelpreis des Jahres 1976 verliehen wurde, sind etwa gleich alt. Beide stammen aus einfachen Verhältnissen, wurden katholisch erzogen, waren nach der Schule in ähnlichen Berufen tätig und lernten den blutigen Streit zwischen Protestanten und Katholiken in ihrer Heimatstadt Belfast, die man in den 1970er-Jahren »Britisches Beirut« nannte, früh kennen.Bei Betty Williams, Tochter eines katholischen Metzgers und seiner protestantischen Ehefrau, verlief die Konfessionsgrenze gewissermaßen quer durch die eigene Familie. Diese persönliche Situation war für sie sicherlich ein Grund, 1972 der Organisation »Witness for Peace« beizutreten, die Katholiken und Protestanten zusammenführte und für das Ende der Gewalt demonstrierte. Und wie groß der Hass zwischen beiden Gruppen war, musste Betty Williams 1973 erfahren, als in einem katholischen Viertel ein Scharfschütze einen britischen Soldaten tödlich verwundete, sie dem Sterbenden zu Hilfe eilte und dafür von den umherstehenden katholischen Frauen als Verräterin beschimpft wurde.Mairéad Corrigan, Tochter eines Fensterputzers, kam dagegen durch ihre Mitgliedschaft in der Legion Mariens und das Interesse an der ökumenischen Bewegung zur Friedensarbeit. Die 1921 in Dublin gegründete katholische Laienorganisation leistete in den ärmsten Vierteln Belfasts soziale Dienste, vielfach über die konfessionellen Schranken hinweg, und dabei lernte Corrigan auch viele Protestanten kennen. Als Privatsekretärin des Generaldirektors des Guinness-Konzerns blieb ihr für die Friedensarbeit kaum Zeit, trotzdem besuchte sie in den 1970er-Jahren oft inhaftierte Angehörige der IRA, um sie zur Aufgabe des Terrors zu bewegen.Die FriedensleuteAm 10. August 1976 ereignete sich dann in Belfast ein Unglück, das die beiden jungen Frauen zusammenführte: Auf der Flucht vor britischen Sicherheitskräften raste ein Kämpfer der IRA durch die Straßen der Stadt, wurde von Kugeln tödlich getroffen und erfasste mit seinem Wagen eine Mutter, die mit dreien ihrer Kinder dort gerade einen Spaziergang unternahm. Die Kinder wurden auf der Stelle getötet, die Mutter, Corrigans Schwester Anne Maguire, schwer verletzt. Betty Williams war zufällig Augenzeugin des Unglücks und davon tief erschüttert. Spontan beschloss sie, unter den Anwohnern Unterschriften gegen den Terror zu sammeln. Bereits nach zwei Tagen konnte sie eine Liste mit über 6000 Unterschriften präsentieren. Mairéad Corrigan erfuhr von der Aktion und lud Betty Williams zur Beerdigung der Kinder ein.Aus dem Treffen der zwei Frauen auf einem Belfaster Friedhof entstand in wenigen Tagen die bedeutendste Friedensbewegung in der langen Geschichte des Nordirlandkonflikts, zunächst unter dem Namen »Women for Peace«, dann als »Community for Peace People«, einer aus Katholiken und Protestanten bestehenden Vereinigung, die Mairéad Corrigan und Betty Williams am 14. August 1976 gemeinsam mit dem Journalisten Ciaran McKeown gründeten. Diese »Friedensleute« organisierten in den folgenden Wochen und Monaten Demonstrationen, an denen in Nordirland und in Großbritannien Tausende von Menschen teilnahmen, mussten aber auch erleben, wie man sie in ihrer Heimat als Verräter beschimpfte und angriff.Im Ausland war die Unterstützung für die beiden mutigen Frauen größer; sie gipfelte im Dezember 1977 in der Verleihung des Friedensnobelpreises. Zu dieser Zeit hatte sich die Begeisterung für die Friedensbewegung in Nordirland allerdings bereits wieder gelegt. Mairéad Corrigans und Betty Willams' Versuch, die verfeindeten Parteien an einen Tisch zu bringen, war gescheitert, Nordirland vom Frieden weiter entfernt als zuvor, denn die Extremisten beider Seiten verübten noch mehr Terroranschläge.Bald wurden auch innerhalb der Gemeinschaft der Friedensleute Spannungen spürbar — etwa beim Streit über die Verwendung des Preisgelds — und schließlich kam es zum offenen Bruch. Betty Williams trennte sich 1980 von der Organisation und wanderte zwei Jahre später nach Florida aus. In der internationalen Friedensarbeit ist sie jedoch bis heute tätig, beispielsweise im Konflikt in Osttimor oder im mexikanischen Chiapas, wo die Zapatisten einen Guerillakrieg führen. Mairéad Corrigan leistet ihren Beitrag in Belfast, organisiert vor allem Gemeinschaftsdienste von katholischen und protestantischen Jugendlichen.P. Göbel
Universal-Lexikon. 2012.